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Astrix, Barbarella & Co

Eckart Sackmann:
Das französische Vorbild Der Katalog zur Hildesheimer Ausstellung
"Asterix, Barbarella & Co."
Ohne die Vorgaben der "Frankobelgier" wäre die deutsche Comic-Landschaft eine Wüste. Die Verlage bedienen sich seit Jahrzehnten aus dem schier unerschöpflichen Fundus der "Bande Dessinée". Voller Wehmut und Neid registriert die Szene den Gestaltungswillen der französischen und belgischen Comic-Kultur. Über das Wesen und die Geschichte dieser Kultur ist hierzulande indes nur wenig bekannt. Der Ausstellungskatalog "Asterix, Barbarella & Co." schließt die Lücke.
Die strategisch günstige Lage am Rande der Expo 2000 brachte es mit sich, daß sich die Stadt Hildesheim zu dieser Gelegenheit mit einem eigenen Kulturprogramm präsentieren wollte. Man erinnerte sich der französischen Partnerstadt Angoulême und des dortigen Comicmuseums. Es gefiel den Franzosen, auf diese Weise mit der Weltausstellung in Verbindung gebracht zu werden. So scheuten sie weder Kosten noch Mühen für ein bisher einmaliges Projekt. Rund 150 Exponate aus dem Centre National de la Bande Dessinée et de l'Image (CNBDI) fanden ihren Weg in das Roemer- und Pelizaeus-Museum in Hildesheim.
Das französische Comiczentrum - unter der Leitung des renommierten Thierry Groensteen - übernahm die Planung und Durchführung der Ausstellung "Asterix, Barbarella & Co.", mit der nicht nur ein Blick in die Schatzkammer des CNBDI, sondern auch ein Rundgang durch rund 150 Jahre frankobelgischer Comicgeschichte möglich wurde. Den Ausnahmecharakter des Unterfangens unterstreicht der voluminöse, von Groensteen selbst verfaßte Katalog. Er trägt denselben Titel wie die Ausstellung und erscheint gleichzeitig auf deutsch und auf französisch.
Damit wird deutlich, daß es Thierry Groensteen hier um mehr als nur ein kurzlebiges Begleitbuch ging. Der rund 300 Seiten starke Katalog, zur Hälfte angefüllt mit ganzseitigen Abbildungen der Exponate, ist eine wohlformulierte Geschichte des frankobelgischen Comic, die auch (und vielleicht gerade) in der Heimat dieser Kunst als Standardwerk wahrgenommen werden wird. Noch dazu unterstreicht "Asterix, Barbarella & Co." den Wert der Sammlung des CNBDI, das derzeit über 6000 Comic-Originale von höchster Qualität verfügt.
Groensteen, der Pragmatiker, der sich auch als Theoretiker des Comic einen Namen gemacht hat, stellt seine Überlegungen zum Wesen der Ausdrucksform an den Anfang der Chronologie. Die Auffassung, der Beginn der Comicgeschichte sei zeitgleich mit dem Wirken des Genfers Rodolphe Toepffer anzusetzen, mag zwar strittig sein, sie ist aber durchaus diskutabel. Daß die Wurzeln der "Bande Dessinée" (nach Groensteen ein Begriff, der sich erst zu Anfang der 60er Jahre durchgesetzt hat) weit vor der Wende zum 20. Jahrhundert ausgegraben werden müssen, wird anhand der vielen Bildbeispiele deutlich.
Die Abbildungen sind eine Besonderheit dieses Katalogs. Während frühere Darstellungen der frankobelgischen Comicgeschichte auf das Gedruckte verweisen, sind die Sammler aus Angoulême in der glücklichen Lage, das Gezeichnete vorführen zu können. "Asterix, Barbarella & Co." ist ein Katalog von Originalen, wie sie ursprünglich geschaffen und erst später vom Verlag für den Druck bearbeitet wurden.
Es macht den Reiz dieser Abbildungen aus, daß sie es dem Betrachter erlauben, die Arbeitsweisen und Stile von fast hundert verschiedenen Comic-Künstlern miteinander zu vergleichen. Das ist möglich, weil der gesamte Katalog vierfarbig gedruckt wurde, auch wenn es hier in der Regel "nur" um Schwarzzeichnungen mit blauen Markierungen für die einzuziehenden Raster geht. Daß die französischen Texte der Comics nicht übersetzt werden, betont den beispielhaften Charakter dieser Zeichnungen, die eben nicht "den Comic", sondern das Temperament ihres Schöpfers widerspiegeln.
Die deutsche Bearbeitung des Katalogbuchs ist gelungen. Nur an einzelnen blumigen Ausdrücken und an der Satzkonstruktion spürt man zuweilen, daß diesem Werk ein französischer Text zugrunde lag. Die Terminologie entspricht dem Stand der Comicforschung. Daß sich dieser Text weniger an ein allgemeines Publikum wendet, sondern vielmehr alle Sachkenntnis und die Fähigkeiten des Autors transportiert, ist für Kenner der Materie ein Gewinn.
Ausstellungsbesucher hingegen, die privat nicht über die Lektüre von "Asterix" hinausgekommen sind, könnten sich angesichts dieses Konvoluts an Wissen überfordert fühlen. Sie lassen sich vielleicht auch von dem für einen Katalog recht hohen (aber durchaus angemessenen) Preis abschrecken. Insofern belegen Ausstellung und Begleitbuch das Dilemma eines jeden Ausstellungsmachers mit wissenschaftlichen Ambitionen: Will er populär und deswegen mitunter flacher als gewünscht arbeiten, oder nimmt er inkauf, daß seine Präsentation an einem Teil der Besucher vorbeigeht?
"Asterix, Barbarella & Co." ist ein Referenzwerk, daß auch in vielen Jahren noch seinen Nutzen bringen wird - in bezug auf die Arbeitsweise frankobelgischer Comic-Künstler (wie sie durch die Abbildungen dokumentiert wird) als auch in seiner Funktion als intelligente und dabei gut lesbare Abhandlung der Geschichte der Bande Dessinée. Dieses Buch ist ein Glücksfall, genau wie die Hildesheimer Ausstellung, die in dieser Form wohl so schnell nicht wiederholt werden kann.
Thierry Groensteen:

Asterix, Barbarella & Co. Meisterwerke aus dem Comic-Museum Angoulême (Katalog der gleichnamigen Ausstellung im Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim)
Somogy Editions d'Art, Paris 2000
288 Seiten, Farbe, DM 69,00

Asterix, Barbarella & Co.
Roemer- und Pelizaeus-Museum
Am Steine 1, Tel. 05121/936 90
27. Mai bis 1. Oktober 2000, Di-So 9-16 Uhr


" Nach einer künstlerisch überschwänglichen Periode macht die Wirtschaft ihre Rechte ab Ende der 80er-Jahre wieder geltend: Die meisten Kleinverlage werden durch große Verlagshäuser aufgekauft, die die Zeichner dazu anhalten, auf gängige und verkaufsträchtige Rezepte populärer Comics zurückzugreifen.
Es ist die Rückkehr unersetzbarer Helden, Helden, die durch etliche Serien hindurch Bestseller produzieren. Neue modische Tendenzen werden ausgeschlachtet, wie der "historische Comic" oder die "Heroic-Fantasy".
Das grafische Niveau bleibt sehr hoch und ziemlich konventionelle Szenarios werden vereinzelt von exzellenten Zeichnern herausragend gestaltet, indem sie Rahmen, Rhythmus und Lay-out der Alben völlig erneuern. Wenn auch Comics für Erwachsene den Hauptmarktanteil haben, kann man Neuerungen im Bereich des Schaffens für Kinder wahrnehmen.
Seit ungefähr 20 Jahren stößt man beim Comic auf den Trend zur Malerei. Immer mehr Zeichner wenden die "coulaur directe" (direkte Kolorierung) an, eine Technik, die zu einer neuen, bildlicheren Anschauung des Bildausschnittes führt. Seit jeher wurde die Farbe auf einen Probeabzug separat vom Original aufgetragen, der schon auf das Format des zu druckenden Werkes verkleinert war.
Künstler wie Enki Bilal, Loustal, Alex Barbier oder Lorenzo Mattotti gehören zu den Ersten, die die herkömmliche Art und Weise fallen lassen und direkt in Farbe zeichnen, wobei sie regelrechte Miniaturen aufs Papier bringen. Der Konturenrand, der für die herkömmliche Ästhetik des Comics so charakteristisch ist, verliert seinen Einfluss und schafft freieren Kompositionen Raum, die Farbe, Licht und Stofflichkeit bevorzugen.
Seit kurzem ist der Gebrauch des Computers eine dritte Lösung zur Farbgestaltung des Comics."
(Ausstellungstext, zitiert aus der Presseinformation des Roemer- und Pelizaeus-Museum vom 26.5.2000)

Loustal (d.i. Jacques de Loustal): "Barney et la note bleue", Seite 28, Dezember 1985, Tusche und Aquarell auf Papier, 392 mm x 286 mm

Loustal nimmt die Darstellung von Atmosphäre, Dekor und Gegenstände ebenso wichtig wie die der Figuren.